Sanguis

Sanguis

Folkwang-Tanzstudio, Essen

Sonntag 22. Nov. // 19.00 Uhr Schauspielhaus

  • Tanz

In die Stille bricht dröhnend Bachsche Orgelmusik. Sand stiebt. Im scharf gezeichneten Kreuz aus weißem Licht steigern sich die Bewegungen von Frauen und Männer zum alptraumhaften Toben. Und plötzlich ist es wieder still.

»Sanguis« ist das lateinische Wort für Blut und, so der Choreograf, »steht für das Leben selbst«.

Ein Mann im Hemd wird von einer Frau angezogen, zuerst die Socken, dann die Hosen, schließlich der Schlips. Plötzlich räkelt und windet er sich rücklings auf dem Boden. In seiner Nähe knien im Gegenlicht zwei Frauen, die Sand aufhäufen. Behagen und Missmut scheinen den Körper des Mannes zu krümmen und zu biegen, bis er in embryonaler Hocke zur Ruhe kommt.

Die Choreografie kostet die Vieldeutigkeit der Gebärden und Arrangements aus. Zärtlichkeit verfälscht sich zu Verlegenheitsgesten und gipfelt in Tücke. Wie die harten Fakten des Daseins und die Ebenen der menschlichen Seele ineinander gleiten, so wechseln die Genres der Tanzkunst. Vom ernsten Weihspiel über die Gesellschaftssatire zum Psychodrama oder zur pointierten Komödie läuft das Karussell aus Scherz und Tiefsinn.

Die Truppe brilliert als Ensemble. Die ausgeprägten Tänzerpersönlichkeiten haben im Wechsel von Gruppe zu Solo- und Duoszenen Raum, ihre reiche Unverwechselbarkeit und ihr technisches Können zu entfalten. Die ethnischen Unterschiede in der Compagnie schaffen einen zusätzlichen Reiz.

Das Folkwang Tanzstudio geht auf das von Kurt Joos 1928 an der Essener Folkwangschule gegründeteTanztheater zurück. Dem hier entwickelten Realismus in Thema und kantiger Bewegungssprache blieb das Studio, das heute von Pina Bausch künstlerisch geleitet wird, treu.

Die Musik wird eingespielt.

»Der junge Schweizer und Absolvent der Folkwangschule Urs Dietrich muss spätestens nach ›Sanguis‹ als große Hoffnung des zeitgenössischen Tanzes in Deutschland gelten« (Westdeutsche Allgemeine Zeitung, Essen, 19.02.1991).

Das Gastspiel wurde im Rahmen des Nationalen Performance Netzes durch Digital Equipment ermöglicht – das NPN wird betreut von Joint Adventures, München.

Choreografie und Ausstattung: Urs Dietrich

Musik: Johann Sebastian Bach – Toccata d-moll, David Bowie – Unwashed and some what slightly dazed

Musikalische Bearbeitung: Tonstudio Brinker

Lichtgestaltung: Wilfried Kresiment

Tänzer: Regina Advento, Rainer Behr, Daniel Condamines, Daniel Goldin, Nayoung Kim, Daphnis Kokkinos, Amaya Lubeigt, Cristina Numa, Jordi Puigdefabregas, Enrica Salvatori, Rodolfo Seas Araya, Yudistira Syuman, Diana Szeinblum

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