Berichte für eine Akademie
Burgtheater Wien / George Tabori, Margit Koppendorfer
Mittwoch 17. Nov. // 19.00 – 20.30 Uhr Schauspielhaus
- Theater
Spiel nach zwei Erzählungen von Franz Kafka
Mit Wucht trifft den Zuschauer die aufschreckende Verklammerung von Bühnengeschehen, Kafka-Phantasie und Wirklichkeit in einer Inszenierung des Theatergenies George Tabori. Der kleinwüchsige Peter Radtke, körperlich stark behindert, spielt geistig und darstellerisch brillant den Affen Rotpeter aus Kafkas Erzählung »Bericht für eine Akademie«.
Um dem Schicksal im Zoo zu entgehen, hat sich der in Gefangenschaft geratene Affe unter Qualen zu einem zweifelhaften Menschsein gezwungen. Jetzt genießt er es, hinter einem breiten Tisch, zunächst auf einem Sessel thronend, sein Schicksal als »Erfolgsbiografie« auszubreiten. Er gerät in Fahrt und rollt sich auf die Tischplatte. Doch im Rederausch entschlüpf Rotpeter schließlich seine skandalöse Wahrheit.
Edel und seelisch gebrochen wirkt der ältere grauhaarige Herr in der Zwangsjacke, den David Hirsch im zweiten Teil des Abends spielt. Losgebunden berichtet er mit scheuem Blick zum Arzt und Wächter leise von seinem Weg, die Menschheit glücklich zu machen. Ehrfurcht und Mitleid erregt die Gestalt, bis sich die Worte in das Gehirn des Zuschauers graben. Es ist eine mörderische Foltermaschine, an der das Herz des Feinsinnigen hängt und mit der er nach wie vor glücklich machen will.
Für seine vielbödige Präsentation nutzt der Schauspieler die abgründigste Passage aus Kafkas Erzählung »In der Strafkolonie«. Der Auseinanderfall von Schein und Sein und die Verkehrung von Opfer und Täter erreichen durch die Dichte der Darstellung, durch das raffiniert verfremdete Spiel und die Genialität des Textes eine atemberaubende Intensität.
Peter Radtke, bereits von Geburt an behindert, machte Abitur, bildete sich zum Dolmetscher und Handelskorrespondenten aus, studierte Germanistik und Romanistik und promovierte. Er schrieb Theaterstücke und Hörspiele, war leitender Redakteur und begann 1981 seine Karriere als Schauspieler.
David Hirsch debütierte als Schauspieler in Belfast und spielte dann an Londoner Westendbühnen, auch im Varieté, Cabaret und in Filmen. Er drehte in den USA, trat im Fernsehen, am Broadway und am Off-Broadway auf. Seit 1991 spielt er am Wiener Burgtheater, u. a. die Titelrolle in Taboris Bearbeitung von »Nathan der Weise«.
Der Georg-Büchner-Preisträger George Tabori ist Dramatiker und Regisseur. Der gebürtige Ungar, seit 1941 unter britischer Staatsbürgerschaft lebend, arbeitete auch in Hollywood und New York. Heute gilt er als der große, kosmopolitische Magier des Gegenwartstheaters. Die Stücke »Mein Kampf« und »Die Goldberg-Variationen« brachten ihm als Bühnenautor Weltruhm. Wien ist eines seiner Wirkungszentren.
»Mit der minutiösen und mit gnadenloser Präzision vorgetragenen Beschreibung der in der ›Strafkolonie‹ entwickelten Folter- und Hinrichtungsmaschine … wird Kafkas Prophetie beklemmend spürbar« (Wiener Zeitung, 01.05.1992).
»Die Ovationen des verblüfften und angerührten Publikums verschafften Radtke einen der Triumphe seiner Karriere« (Süddeutsche Zeitung, München, 17./18.06.1992).
Festivaleröffnung
Das Gastspiel erfolgt mit freundlicher Unterstützung durch den Österreichischen Bundestheaterverband, Wien
Inszenierung: George Tabori, Margit Koppendorfer
Licht: Peter Watzek
Darsteller: Peter Radtke (in »Ein Bericht für eine Akademie«), David Hirsch (in »In der Strafkolonie«), Karl Heinz Gruber, Kosilo